Eigentlich hielt ich die (Hamburger) 5-Euro-Wein-Debatte für längst abgeschlossen, aber anscheinend schwelt diese noch immer leise vor sich hin, das belegen weitere Beiträge am ENO-WorldWine-Blog und drinktank.
Mit Erstaunen - und ja: auch Amusement - nehme ich wahr, mit welcher Vehemenz hier Standpunkte und Zielgruppeninteressen verteidigt wurden - warum eigentlich?
Recht haben natürlich alle (ein bißchen) - zumindestens aus der Perspektive ihres eigenen Standpunkts.
Gute Preis-Leistungs - oder besser: Preis-Genußweine gibt es unbestritten um dieses Geld. Daß aber eine breite Front das Billigpreissegment der namhaften Diskonter unter €3 als Nabel der Weinwelt definiert und daher Weine über €5 ins Premiumsegment hebt, dem muß entschieden entgegnet werden.
Richtiges Erlebnis beim Wein kostet mein Portmonnaie mehr als €5 - *deutlich* mehr!
Arrogant finde ich diese (Kern)Aussage deshalb noch lange nicht, auch wenn ich dabei *nicht* jedes Wort des Herrn Thoma auf die Goldschale lege. Und dabei ist es auch unerheblich, ob sich viele Leute Weine um €10+ nicht leisten können oder ein Gutteil der Premiumweine als maßlos überteuert angesehen wird - denn beides ist (in meiner Welt) Realität.
Letzendlich ist es doch nur eine Frage der persönlichen Prioritäten. Oftmals sind jene, die am lautesten wettern doch genau jene, welche im Pelzmantel zum Wein im Tetrapak greifen oder mit dem "Geiz ist g.."-Spruch auf den Lippen ihre Luxuskarosse vorm Diskonter parken.
Der im Beitrag von Dagmar Ehrlich getätigte Ausspruch "Qualität braucht eine Lobby" besitzt heutzutage im Zeitalter der Einnivellierung und Uniformität für mich mehr denn je Aktualität, auch wenn wir zuallererst einmal begreifen müssen, daß Qualität per se nicht gut oder schlecht ist, sondern das, was wir darunter explizit und implizit definiert verstehen.
Und nein, ich erwarte nicht vom Weinhändler meines Vertrauens, daß er in den Ring der €5 Preisschlacht steigt, sondern daß er sich auf die Suche nach Weinen begibt, welche mit nachvollziehbarer Preispolitik meinen Wein- & Geschmackshorizont erweitern - Punkt.
7 Kommentare:
Sie schreiben: "Daß aber eine breite Front das Billigpreissegment der namhaften Diskonter unter €3 als Nabel der Weinwelt definiert und daher Weine über €5 ins Premiumsegment hebt, dem muß entschieden entgegnet werden."
Sorry, aber ich kann das nirgends erkennen. Die meisten der von mir und anderen vorgestellten und kommentierten Weinbeispiele liegen zwischen 3 und 5 Euro. In einigen Artikeln wird sehr deutlich herausgearbeitet, dass die von Thoma postulierte Grenze nicht bei 5 Euro sondern irgendwo zwischen 2,50 und 3 Euro liegt. 5 Euro Weine werden nicht von mir oder anderen ins Premiumsegment gehievt. Bis zur Umstellung DM auf Euro war 10 Mark per offizieller Definition der Einstieg ins Premiumsegment. Als ich damals voraussagte, dass sich diese Grenze auf 10 Euro verschieben werde, erntete ich in der Szene die wüstesten Proteste.
Im übrigen würde mich Weinhändlern, die mir versuchen klar zu machen, dass Qualität erst oberhalb von fünf Euro beginnt sofort das Vertrauen entziehen. Wer das behauptet, mag Gründe dafür haben, er setzt sich aber auch dem Verdacht aus von Wein und seiner Produktion nichts zu verstehen.
Lieber Herr Scheuermann,
warum werfen sie sich so für dieses Thema in die Bresche?
Die 5 Euro Grenze ergibt sich einfach aus der Beobachtung in meinem Umfeld. Dort wird Wein fast ausschließlich über Diskonter bzw. den LEH bezogen. Normalerweise gibt dort keiner mehr als 3, max. 4 Euro für eine Flasche Wein aus, falls doch, glauben sich diese Personen bereits im "Premiumsegment" zu befinden - abseits jedweder Definitionen.
Im übrigen sprechen sie von Qualität, ich jedoch von der Erwartungshaltung, meinen Geschackshorizont zu erweitern! Das ist - mit Verlaub - ein nicht ganz zu vernachlässigender Unterschied. Meine Weinzunge zu überraschen, das gelingt ganz sicherlich auch mit Weinen (deutlich) unter der €5 Grenze, so vor ein paar Tagen mit einem feinem Riesling der Kremser Weinmanufaktur!
Qualität beim Wein bedeutet für mich eben noch eine andere Dimension als die einer sauber gemachten Flasche!
Ich finde es vor allen Dingen schade, dass so viele Weinblogs sich so viel Zeit für diese Diskussion nehmen. Wenn ich einen Wein in dieser Preisgruppe sehe und er mich aus irgendweinem Grund interessiert, kaufe ich mir einfach eine Flasche, probiere und entscheide dann, ob ich mir einen Karton davon in den Keller stelle. Jedes Supermarktprospekt und jedes Weinregal beim Lebensmittelhändler bietet mir da eine reichhaltige Auswahl.
Wenn ich mir die Mühe mache, mich bei weinschreibenden Menschen im Internet kundig zu machen, suche ich eigentlich etwas mehr - eben das Besondere, die Entdeckung eines außergewöhnlichen Winzers, einer Lage, die ich noch nicht kenne, einer Rebsorte, die es zu entdecken gilt, was nicht schon seit Jahren in der gedruckten Presse abgehandelt wird - all das, was eine Lobby von finanziell uninteressierten, kundigen Menschen braucht, um überhaupt in mein Blickfeld zu gelangen.
Das ist dann für mich Lesegenuss und Gewinn...
Ich beschäftige mich mit diesem Marktsegment ganz einfach deshalb, weil man es meiner Meinung nach als Fachjournalist ebenso ernst nehmen muss wie die andere Segmente des Marktes. Ich kann und will nicht jeden Tag über einen 1975er Certan de May schreiben wie ich es gerade im Planet Bordeaux getan habe oder über einen 1999er d´Alceo wie kürzlich in meinem Newsletter. Das sind Ausnahmeweine jenseits von 100 Euro und dies sollten auch Ausnahmen bleiben. Wobei ich die interpassive Lust vieler Weinfreunde an solchen Weinnotizen natürlich verstehe.
Viel mehr ärgert mich die Chuzpe einiger "Fachleute" und Kollegen aber auch einiger Blogger, die handwerklich gemachte Weingutsweine zwischen 3 und 5 Euro, die durchaus Genuss bereiten können, in einen Top werfen mit der billigen (unter 3 Euro) Kellerei- und Vracware der Discounter. Das ist falsch, unfair und unredlich. Wenn dann noch das übliche Übersee-Bashing dazukommt von wg. Niedriglöhne, Ausbeutung, Kunstwein, Bewässerung etc. dann kocht mir die Galle. Das ist genau die Argumentation der französischen Weinguerilla, die Tankwagen anzündet udn Supermärkte verwüstet.
@Mario Scheuermann
Gut gebrüllt!
@Iris Rutz-Rudel
"Ich finde es vor allen Dingen schade, dass so viele Weinblogs sich so viel Zeit für diese Diskussion nehmen."
Wenn jemand "den Blogs" vorwirft, zu viel über diese Frage zu diskutieren, der selbst in fast jedem, mir zugänglichen Blog in der letzten Zeit genau zu dieser Frage wiederholt üppige und üppigste Beiträge abgeliefert hat, dann finde ich das schon etwas zu viel an Scheinheiligkeit.
Wenn die Frage diskutiert wird, dann deshalb, weil viele Leute sie interessant finden. Und basta!
Gruss aus Hamburg
Eckhard Supp
Lieber Herr Supp,
ein, versprochen "letzter" üppiger Beitrag meinerseits zu diesem Thema und vorweg ein Zitat zu der mir von Ihnen atestierten Scheinheiligkeit(Quelle: wikipädia, um es nicht zu elitär zu machen):
"Das Vertreten eines Anspruchs an das Verhalten Anderer, wenn man selbst diesem Anspruch nichgerecht wird. Dies wird häufig mit dem bildhaften Ausspruch illustriert: "Wasser predigen, aber selbst Wein trinken." Heuchelei in diesem Sinn wird auch als Scheinheiligkeit oder Doppelmoral bezeichnet; sie steht im Gegensatz zur persönlichen
Integrität, da ein Widerspruch zwischen geäußerten und gelebten Werten besteht: Entweder vertritt man dabei Werte, die man nicht für richtig hält, oder man lebt nicht nach Werten, die man für richtig hält, denn vertretene und
gelebte Werte stehen im Widerspruch."
Als Weinliebhaber und Winzer aus einem in den Beispielen der Diskussion durchaus vertretenen Anbaugebiet habe ich mir erlaubt, an dieser Diskussion teilzunehmen.
Ich glaube, dass von mir dabei vertreten Werte durchaus mit den von mir sonst vertretenen und auch in meiner täglichen Praxis als Konsument und Winzer praktizierten in Einklang stehen.
Und wenn es mich, obwohl meine eigene Produktion nicht in dem diskutierten Preissegment und in den Vertriebskanälen vertreten ist, als Insider und Kollege von Tausenden von Winzern und Weinbauern meiner Region stark genug interessiert, mit welchen Argumenten hier von exponierten Kennern argumentiert wird, die an anderer Stelle gerne (und zu Recht)Qualitätsoptimierung und Ertragsreduzierung als Heilmittel für die hiesige Krisensituation predigen, um eine andere Sicht des Problems in den Mittelpunkt zu rücken, so sehe ich darin keine Doppelmoral.
Dass Ihnen in diesem Zusammenhang Hinweise auf Produktionsbedingungen wie Lohnkostenniveau und Produktionsmethoden überflüssig und unwichtig erscheinen, kann ich nur so stehen lassen, da ihre Schlussformel ja deutlich zeigt, dass für Sie das Thema erledigt ist.
Und meine Entschuldigung an den Autor dieses Blogs, für die üppige Inanspruchnahme von Kommentarraum:-).
Ohne dieses Thema noch weiter durchdiskutieren zu wollen, möchte ich hier nur sagen: "Das Foto finde ich klasse."
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