Von der Nase eines Weins zum Wein in der Nase - Ein Erlebnis mit einem Wein
Es ist nun schon fünf Jahre her und der Duft ist immer noch in meiner Nase. Der Duft eines Weins, der mit einem Schlag ein Hotelzimmer verwandelt hat, von einem modernen, komfortablen, mit allen praktischen Annehmlichkeiten ausgestatteten Raum zum Schlafen, in einen Ort des Geniessens.
In meiner Weinagenda steht zu diesem Wein in der Rubrik „Geruch“: „Nuss, Lakritze, Waldbeere, Holunder, betörend in der Nase“. Mehr nicht! So oder ähnlich ist oft verzeichnet, nach dem Genuss eines guten, charakteristischen Weins. Unter „Vorkommnisse“ hingegen: „Wohnen im Art'otel (Penck) in Dresden“.
Dass sich die Nase heute noch daran erinnert, dass dieser Wein – es war auf der dreitägigen Reise weissgott nicht der einzige – in der Nase geblieben ist, bis heute, und wohl immer bleiben wird, das konnte ich damals noch nicht ahnen.
Die Geschichte: Zum Geburtstag meiner Frau lade ich sie nach Dresden ein, nächtliche Fahrt mit dem Schlafwagen. Als besondere Überraschung: Ein Zimmer im Art'otel, Dresden, ausgestattet mit den Originalwerken des bekannten Dresdener Künstlers A. R. Penck. Es ist einer der „Lieblingskünstler“ meiner Frau.
Zweite Überraschung: Im Gepäck eine Flasche Ausone 1992, mit der um Mitternacht im engen Zugscoupe angestossen werden soll. Es ist der „Lieblingsbordeaux“ meiner Frau, der leider inzwischen so teuer und rar geworden ist, dass selbst ein 92er etwas ganz Besonderes ist.
Doch es kam alles anders. Um Mitternacht schliefen wir beide den Schlaf der Gerechten und als wir gegen Mittag – es war ein eiskalter Wintertag – im Hotel endlich das Zimmer beziehen konnten, da war der Ausone noch immer im Gepäck, gut durchgeschüttelt, viel zu kalt und gar nicht das, wozu wir Lust hatten.
Am Abend dann, die Stadt lag schon ziemlich in unseren Beinen, das Essen in der hoteleigenen „Factory“ alles andere, als das versprochene kulinarisches Erlebnis, die Penck-geschmückten Räume schön aber kalt und nüchtern, da öffnete ich – leicht enttäuscht und deprimiert, denn Billete für die Semper-Oper konnten wir auch noch nicht ergattern – den Ausone 1992, inmitten der Betonwänden, die ihre Kälte durch modische Designerfarben verlieren wollten.
Es war eher ein Verlegenheitstrinken. Was macht man in einem Hotelzimmer, wenn es draussen kalt und nass ist, zum Auftakt zu einer gemütlichen Geburtstagsfeier, mit nur einer Flasche Wein im Gepäck und ein paar Nüsschen in der Schale? Der 92er Ausone kam mir geradezu schäbig vor, inmitten der Originalwerke von Penck, in einer Stadt, die selbst an kalten Wintertagen Wärme und Geborgenheit ausstrahlt. Ich habe den Wein ein paar Jahre zuvor an einer Auktion ersteigert, für 99 SFr. (63 Euro), gerade Mal 17/20 Punkte bei Gabriel, 80/100 bei Parker. Da haben wir schon andere, bessere Weine im Glas gehabt, besonders an einem Geburtstag.
Die Überraschung – heute würde ich sagen: die Sensation – kam unerwartet und total. Kaum war der Korken aus der Flasche,
strömte ein unbeschreiblich warmer, angenehmer, würziger, erogener, blumiger, farbiger Duft in den Raum. Farbiger Duft? Tatsächlich, ich empfand das, was wir in der Nase als Raumgeruch wahrnehmen konnten, als ein Spektrum von Farben, – in Verbindung mit A.R. Penck, dem Künstler – sogar als Formen: schwerelos und doch körperlich, geschmeidig und doch voll Ecken und Kanten, voll Fratzen und schönen Gesichtern. Kein Aromenrad vermag das wiederzugeben, was den Raum erfüllte und wir physisch wahrnehmen konnten.
Der Wein entwickelte sich auch im Gaumen – retronasal – die gleichen Aromen und so wurde ein Raum, eine Situation, ein Genussmoment – und nicht einfach nur ein Wein – zum unvergesslichen Erlebnis. Wir beide – meine Frau und ich – haben seither ein ganz anderes Verhältnis zur „Nase“ im Wein, weil der Wein wirklich in die Nase gekommen und hier auch geblieben ist.
(Peter Züllig, Schweiz)
1 Kommentar:
Ein wunderbarer Bericht! Leider ist der Ausone nunmehr ziemlich unbezahlbar geworden.
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