Nicht immer aber rechtfertigen diese (schon fast inflationären) Jahrhundertjahrgänge ihre Vorschußlorbeeren. In ihrer Jugend noch mit allen Tugenden ausgestattet, fehlt ihnen im weiteren Reifeverlauf oftmals die Fokussiertheit, die Weine werden breit, manchmal marmeladig und verlieren ihre Spannung auf der Zunge.
Grund für mein Mißtrauen gegenüber den Hypes sind die bisher (von mir aus meinem Bestand) verkostetet Weine (nicht nur französischen Ursprungs) der ebenfalls hoch bewerteten Jahrgänge 2000 und 2003, welche bisher ihre Stärken nicht ausspielen konnten. Am Potential scheitert es nicht, wohl aber den richtigen Trinkzeitpunkt dieser manchmal leider viel zu kapriziösen Diven zu finden ;-) Im Gegenzug zeigen die kleineren Jahrgänge wie zB. 2001 und 2004 meistens eine weit bessere Leistung, als in ihnen anfangs zugestanden wurde und so findet auch mein Gaumen diese Weine oftmals viel befriedigender.
2005 habe ich gemäß dem Motto "Großer Jahrgang, kleine Weingüter" gehandelt und bin ua. den Empfehlungen (des rechten Ufers) von René Gabriel bei Mövenpick Wein gefolgt - der Lussac wurde breit beworben. Die Weine sind nun eingetroffen und müssen sich sogleich im Glas beweisen, solange ich mir noch sicher sein kann, sie in ihrer Fruchtphase zu erwischen.
Château Lussac 2005, Lussac - St. Èmilion-Lussac
80% Merlot, 20% Cabernet Franc, dichte, sehr dunke Farbe, betörende subtile Aromatik, anfangs stehen balsamische Noten im Vordergrund, Teer, Leder, dann Flieder, Brombeeren, immer getragen von der teerigen Textur, am Gaumen dicht, mit Unmengen an reifen Gerbstoffen, das lehrt sogar den Tannatweinen des Südens das Fürchten, das "beißt" im Mund und ist bereits hart an der Schmerzgrenze, am zweiten Tage wird die Sache etwas ziviler, noch immer kräftiges Tannin, jedoch viel homogener, viel engmaschiger gepaart mit einer feinen Fruchtsüße, jedoch niemals opulent wirkend, guter Ausklang, das Pelzige der Tannine weicht einer feinen Säure, harmonisch ausklingend, **(*)/***
Ein Merlot-domiertes "Tannin-Monster" - vom Cabernet Franc? - so was habe ich in dieser Art noch nicht erlebt. Für Gerbstoff-Fanatiker - ich kann Gerbstoffe auch in höherer Dosage ganz gut leiden, solange sie nicht im Mund austrocknend sind - und einer genügend langen Dekantierzeit macht der Wein aber bereits jetzt schon viel Spaß, ein gelungener Einstieg in die 2005er Weine, besonders die intensive und volle Aromatik hat dazu beigetragen. Alles ist mehr als reichlich und im Überfluß vorhanden, ob sich das in einer Dekade aber hin zu mehr Subtilität entwickeln wird - ich weiß es nicht. Zumindestens mit dieser Flasche sind die Lobeshymnen meinerseits nachvollziehbar, auch wenn diese Art der Weinstilistik sicherlich bei manchen auf Vorbehalte stoßt.
Alleine schon die Eigentümerfamilie de Boüard de Laforest (Château Angélus) und der "diensthabende" Önologe Stéphane Derenoncourt sollten ein Grant für eine ausgezeichnete Qualität sein.
Ein wunderschönes, klares und brilliantes, aber eher helles Purpur, die Nase nicht zu überschwenglich, feine Kräuterwürze, zarte Schwarzfruchtaromen, viel geschliffener und seidiger als der Lussac, mehr Sir als Muskelmann, feine Gerbstoffe, am Gaumen mittelgewichtig, die Tanninstruktur verstärkt sich zunehmend mit dem Sauerstoffkontakt, bleibt aber immer fein balanciert, zum Lussac ziemlich konträre Stilistik, wird sich mit ein paar Jahren Geduld zu einem feinen Wein (ähnlich dem 99er Marsau) entwicklen. Daß der Wein geschätzt wird, zeigt auch sein Preisprung von über einem Drittel bei Arrivage, *(*)-**/***
70% Merlot, 20% Cabernet Sauvignon, 10% Malbec, klare Farbe zwischen Rubin und Purpur, hübsche Nase nach Himbeeren und Brombeeren, das Holz sehr schön verwoben, wirkt leicht alkoholisch, am Gaumen rund & offen, zeigt sicht richtiggehend trinkfertig, mittelgewichtig, etwas breit und warm, gefällig im Abgang, etwas strukturlos, in den einschlägigen Zeitschriften würden wir von einem "gastronomischen Wein" lesen, (derzeit) ohne Komplexität und IMHO durch die Klasse der beiden Vorgänger für diesen tollen Jahrgang zu wenig, */***
Unter Berücksichtung des Einstandpreises - die drei Weine haben in der Subskription fast bis auf den Cent das Gleiche gekostet (€ 16) - bietet der Lussac neben seiner beeindruckenden Performance und Potentials wegen wohl das beste Preis-Genuß-Verhältnis. Somit geht René Gabriels Empfehlung für diesen Wein mehr als in Ordnung!
Bildnachweis: Mövenpick Wein